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Ökobilanz, graue Energie und Zertifizierung – nachhaltige Entscheidungen für die Bauzukunft

5. Juni. 2025

Die nachhaltige Transformation des Gebäudebestands ist eine der zentralen Herausforderungen unserer Zeit. Bauherrschaften, Projektleitende und Planungsbüros stehen vor der Frage: Sanieren oder neu bauen? Die Antwort liegt in der Lebenszyklusanalyse mit gezieltem Blick auf Ökobilanz, graue Energie, Zertifizierungsmöglichkeiten und die integrale Projektsteuerung.

Relevanz: Nachhaltigkeit und Klimaziele im Fokus

Die Bau- und Immobilienbranche steht im Zentrum der Klimadebatte. Gebäude verursachen etwa 40 Prozent der globalen CO₂-Emissionen und sind für einen Großteil des Ressourcenverbrauchs verantwortlich. Die Erreichung der EU-Klimaziele und die wachsenden ESG-Anforderungen erfordern ein Umdenken – nicht nur bei Neubauprojekten, sondern vor allem im Gebäudebestand.
In unseren bisherigen Beiträgen unserer Nachhaltigkeits-Reihe haben wir bereits die Rolle des Bausektors in Bezug auf EU-Klimaziele und ESG-konformes Bauen (ESG im Bau), die Bedeutung nachhaltiger Lösungen, die Grundlagen, Strukturen, Perspektiven und Vorteile von Zertifizierungen wie DGNB und BNB beleuchtet (Nachhaltiges Bauen mit Zertifizierung, Ganzheitliche Lösungen mit Mehrwert, Nachhaltigkeit zahlt sich aus). Heute richten wir den Fokus gezielt auf die Ökobilanz im Vergleich von Sanierung und Neubau – und zeigen, wie eine Zertifizierung auch bei Bestandsgebäuden einen entscheidenden Mehrwert schafft.

Fachliche Einordnung: Sanierung schlägt Neubau in der Ökobilanz

Graue Energie als entscheidender Faktor

Jede Baumaßnahme – egal ob Neubau oder Sanierung – benötigt Materialien, Energie und Ressourcen. Besonders relevant ist dabei die sogenannte graue Energie, also den Ressourcen und Emissionen, die bereits in der bestehenden Bausubstanz gebunden sind. Die graue Energie umfasst alle indirekten Energieaufwendungen, die in der Rohstoffgewinnung, Produktion, Transport, Verarbeitung und Entsorgung von Baumaterialien stecken. Wird ein Gebäude abgerissen, geht diese gespeicherte Energie verloren und neue Emissionen entstehen durch Abriss, Entsorgung und Neubau.

Sanierungen hingegen nutzen die vorhandene Substanz weiter, sparen erhebliche Mengen an Baumaterial und reduzieren den Bedarf an neuen Rohstoffen. Selbst wenn ein Neubau im Betrieb besonders energieeffizient ist, dauert es oft Jahrzehnte, bis die durch den Abriss und Neubau verursachten Emissionen durch den effizienteren Betrieb wieder „eingespart“ werden.

Aktuelle Studien – wie die Kurzstudie der DGNB („Klimawirkungen von Sanierungen: Eine lebenszyklusbasierte Analyse“), Analysen des BUND und zahlreiche Praxisberichte – zeigen ein klares Bild: In den meisten Fällen ist die Sanierung eines Bestandsgebäudes aus ökologischer Sicht dem Abriss und Neubau überlegen dass Sanierungen im Schnitt zwei Drittel weniger graue Emissionen verursachen als Neubauten. Der Grund liegt auf der Hand: bei der Sanierung bleibt die Tragstruktur erhalten, während beim Neubau energieintensive Materialien für eine neue Struktur eingesetzt werden müssen. Besonders im Rohbau steckt ein Großteil der grauen Energie, die sich in der Ökobilanz des Neubaus stark niederschlägt.

„Die Analyse zeigt, dass Sanierungen im Schnitt zwei Drittel weniger graue Emissionen verursachen als Neubauten.“
(DGNB-Kurzstudie „Klimawirkungen von Sanierungen“, 2025.)

Wirtschaftlichkeit als Entscheidungskriterium

Neben der Ökobilanz ist die Wirtschaftlichkeit ein zentrales Entscheidungskriterium. Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen im Bauwesen vergleichen systematisch die gesamten Lebenszykluskosten von Sanierungs- und Neubauvarianten. Dazu zählen nicht nur Investitionskosten, sondern auch Betriebs-, Instandhaltungs-, Rückbau- und Entsorgungskosten sowie gegebenenfalls Erlöse und Restwerte. Die Barwertmethode wird eingesetzt, um alle Kosten und Nutzen über die geplante Nutzungsdauer vergleichbar zu machen.

Eine Sanierung ist in vielen Fällen die wirtschaftlichere Option. Das liegt vor allem daran, dass die bestehende Bausubstanz erhalten und sinnvoll weitergenutzt werden kann, wodurch hohe Kosten für Abriss, Entsorgung und Neubau eingespart werden können.

Zudem werden Sanierungsmaßnahmen im Gebäudebestand im öffentlichen Sektor vielfach durch spezielle Förderprogramme auf Bundes- und Landesebene unterstützt. Diese Programme zielen darauf ab, energetische Verbesserungen, den Einsatz nachhaltiger Baustoffe und die Reduzierung von CO₂-Emissionen zu fördern. Öffentliche Bauherrschaften können so gezielt finanzielle Anreize nutzen, um Sanierungsprojekte wirtschaftlicher und nachhaltiger umzusetzen. Die Förderlandschaft entwickelt sich dabei kontinuierlich weiter und bietet regelmäßig neue Impulse für die nachhaltige Transformation des Gebäudebestands.

Ein Neubau ist wirtschaftlich nur dann im Vorteil, wenn der Bestand erhebliche technische, funktionale oder energetische Defizite aufweist, die sich durch eine Sanierung nicht wirtschaftlich beheben lassen, oder wenn ein verändertes Nutzungskonzept (z. B. größere Flächen, Barrierefreiheit) erforderlich ist.

„Ein Ersatzneubau ist insbesondere dann zu prüfen, wenn die Anpassung des Bestands an die aktuellen Anforderungen mit unverhältnismäßig hohen Kosten verbunden wäre.“
(BMWSB Leitfaden Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen Hochbau, S. 36)

Die Wirtschaftlichkeit sollte immer im Rahmen eines Variantenvergleichs betrachtet werden, bei dem sowohl Sanierung als auch Neubau (und ggf. weitere Optionen wie Teilrückbau oder Erweiterung) systematisch gegenübergestellt werden.

Ganzheitliche Lebenszyklusbetrachtung: die Ökobilanz

Eine fundierte Entscheidung zwischen Sanierung und Neubau erfordert eine ganzheitliche Betrachtung: die Ökobilanz. In der Lebenszyklusanalyse (LCA) wird nicht nur die Bauphase, sondern auch der Betrieb und der Rückbau eines Gebäudes analysiert. Über einen Zeitraum von 50 Jahren entstehen die meisten Emissionen im Gebäudebetrieb, sofern nicht vollständig erneuerbare Energien genutzt werden. Dennoch bleibt die Herstellungsphase mit ihren grauen Emissionen prägend für die Gesamtbilanz.
Energetische Sanierungen verursachen laut Wuppertal Institut (Energetische Sanierung von Bestandsgebäuden oder Neubau) nur etwa 50 Prozent des CO₂-Fußabdrucks eines vergleichbaren Neubaus, wenn der gesamte Lebenszyklus einbezogen wird. Neubauten bieten zwar Vorteile bei der Integration modernster Technologien, sind aber ökologisch nur dann sinnvoll, wenn der Bestand technisch oder funktional nicht mehr nutzbar ist.

Ressourcen- und Klimaschutz

Der nachhaltige Umgang mit dem Gebäudebestand ist entscheidend für die Erreichung der Klimaziele. Sanierungen sparen nicht nur CO₂, sondern schonen auch Ressourcen und reduzieren Abfallmengen. Die gezielte Modernisierung von Bestandsgebäuden ist daher ein wesentlicher Hebel für den Klima- und Ressourcenschutz.

DGNB-Zertifizierung für Sanierungen

In unseren vorherigen Beiträgen haben wir schon über die DGNB-Zertifizierung berichtet (Nachhaltiges Bauen mit Zertifizierung | Diederichs, Nachhaltigkeit zahlt sich aus – 9 Vorteile einer Zertifizierung | Diederichs). Die DGNB hat ihr Zertifizierungssystem für Sanierungen in den vergangenen Jahren gezielt weiterentwickelt und an aktuelle Marktanforderungen, EU-Taxonomie und das Rahmenwerk angepasst. Bauherrschaften, Kommunen und Projektentwickelnde können damit ihre Sanierungsprojekte nach klaren Nachhaltigkeitskriterien planen, umsetzen und unabhängig prüfen lassen. Ein besonderer Fokus liegt auf Klima- und Ressourcenschutz sowie der Berücksichtigung von Denkmalschutz­anforderungen. Die Kriterien wurden entsprechend überarbeitet und es wurden neue Anforderungen wie ein gebäudeindividueller Klimaschutzfahrplan eingeführt. Mit dem Credo ‚Erhalt statt Neubau‘ unterstützt das DGNB System für Sanierung Bauherrschaften dabei, das Maximum an Nachhaltigkeitsqualität aus dem Bestand herauszuholen.

„Insbesondere Objekte, die aktuell enorme Mängel aufweisen, bieten durch Renovierungen und Instandsetzung große Potenziale im Sinne des Klimaschutzes. Genau hier setzt das DGNB System für Sanierungen an.“
(DGNB, 2024: www.dgnb.de/de/zertifizierung/gebaeude/sanierung)

Mehrwert für Bauherrschaften und Projektentwickelnde

Eine Zertifizierung macht Nachhaltigkeit messbar, schafft Transparenz und erleichtert die Kommunikation mit Stakeholdern, Fördermittelgebenden und Nutzenden. Sie bietet zudem eine strukturierte Grundlage für die Planung und Umsetzung von Sanierungsmaßnahmen – und stärkt so die langfristige Wertstabilität und Zukunftsfähigkeit des Bestands.

Ihr Partner für nachhaltige Projektsteuerung und faktenbasierte Ökobilanzen

Als erfahrenes Unternehmen in der Projektsteuerung unterstützt Diederichs Bauherrschaften bei der nachhaltigen Entwicklung und Bewertung von anspruchsvollen Bauvorhaben. Wir begleiten Sie von der ersten Potenzialanalyse über fundierte Wirtschaftlichkeits- und Variantenuntersuchungen bis zur Entscheidungsfindung, ob für Ihr Projekt Sanierung oder Neubau ökologisch und wirtschaftlich sinnvoller ist. Unsere Leistungen im Überblick:

  • Ganzheitliche Projektsteuerung mit Fokus auf Lebenszyklusanalysen zur faktenbasierten Entscheidungsfindung
  • Beratung zur Bewertung von grauer Energie und CO₂-Bilanz im Bestand und bei Neubauvorhaben
  • Beratung und Begleitung bei DGNB-, BNB, BREEAM- und LEED-Zertifizierungen (Neubau und Sanierung)
  • Integration von ESG-Kriterien und Fördermöglichkeiten
  • Einsatz digitaler Tools (z. B. BIM) für transparente Nachhaltigkeits­bewertungen

Unsere Erfahrung und Kompetenz belegen zahlreiche und vielseitige Projekte aus dem öffentlichen und privaten Sektor, die wir erfolgreich nach höchsten Qualitäts- und Nachhaltigkeitsstandards begleitet haben. Eine Auswahl finden Sie in unserer Referenzübersicht.

Fazit und Ausblick: Ökobilanz als Entscheidungskriterium – Sanierung meist im Vorteil

Die Frage „Sanierung oder Neubau?“ lässt sich faktenbasiert beantworten: Die Ökobilanz spricht in den meisten Fällen für die Sanierung, bei der die bestehende Bausubstanz weiterverwendet wird. Auch wirtschaftlich ist die Sanierung häufig im Vorteil, solange der Bestand keine gravierenden Defizite aufweist. Zwar bieten Neubauten Vorteile bei der Integration modernster Technologien, der ökologische Fußabdruck ist jedoch meist deutlich höher.

Eine fundierte Lebenszyklusanalyse liefert die Grundlage für nachhaltige und wirtschaftlich sinnvolle Entscheidungen und zeigt, dass die Sanierung bestehender Gebäude ein zentraler Hebel für den Klima- und Ressourcenschutz ist.

Möchten Sie wissen, wie Ihre Projekte im Hinblick auf Ökobilanz und Nachhaltigkeit optimal bewertet und gesteuert werden können? Wir beraten Sie gerne.

Diederichs | Kontakt

Weitere Quellen:

Graue Energie ist guter Grund für Sanierung – Zukunft Altbau

Die Klimawirkung von Sanierungen: Kein Grund abzuwarten – DGNB Blog

Graue Energie und Emissionen – Gebäudeforum

DGNB: Deutsches Nachhaltigkeitszertifikat – Baunetz_Wissen

Bundesförderung für effiziente Gebäude (BEG) – Informationen für Kommunen und öffentliche Träger

KfW – Kommunale Förderung: Energetische Stadtsanierung

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