Nachhaltigkeit gehört heute mit zu den wichtigsten Anforderungen an Bauprojekte. Im Bereich Forschungsbau stellt sich die Frage, wie sich anspruchsvolle Forschungsarchitektur mit ökologischer und ökonomischer Verantwortung verbinden lässt.
Die Erweiterung des Max-Planck-Instituts für biologische Kybernetik in Tübingen ist ein Beispiel dafür, wie nachhaltiges Bauen in der Praxis funktionieren kann. Nathanael Hotz, Mitglied unseres Kompetenzcenters Nachhaltigkeit und Teil des Projektteams, gibt exklusive Einblicke „hinter die Kulissen“.
Interview
Welche Rolle spielt Nachhaltigkeit bei der Erweiterung des Max-Planck-Instituts?
Hotz:
Nachhaltigkeit spielt in diesem Projekt eine zentrale Rolle: Sie ist von Beginn an Leitmotiv für wesentliche Entscheidungen in der Projektentwicklung und beeinflusst sowohl die Bedarfsermittlung als auch die Wahl der Bauweisen. Allgemein sind die frühen Projektphasen eines Bauprojekts von besonderer Bedeutung, um die Weichen für ein nachhaltiges Projekt stellen zu können.
Grundvoraussetzung für nachhaltiges Bauen ist bedarfsgerechtes Bauen. Ein wichtiger Baustein ist daher, bereits in der Bedarfsplanung die spätere Nutzung kritisch zu hinterfragen und die Planungsaufgabe dahingehend zu optimieren.
„Wenn wir Nachhaltigkeit ernst nehmen,
dürfen wir mit einer unbequemen Frage beginnen:
Was brauchen wir (nicht) wirklich?“
Ein Beispiel sind die Büroflächen des Max-Planck-Instituts für biologische Kybernetik in Tübingen: Aus den voraussichtlichen Mitarbeiterzahlen wurde in der Bedarfsplanung eine rechnerisch notwendige Bürofläche ermittelt. Der reale Bedarf an Büroflächen entspricht durch moderne Arbeitsmodelle wie mobilem Arbeiten und Desk-Sharing aber oft nicht mehr dem Berechnungsergebnis. Das wurde in der Projektentwicklung berücksichtigt, indem die zu planenden Büroflächen gegenüber dem errechneten Bedarf um 25 % reduziert wurden. Durch die Ausrichtung auf diesen reduzierten Bedarf und einen besonders effektiven und effizienten Betrieb werden nicht nur Kosten gesenkt, sondern auch Materialeinsatz, Flächenverbrauch und Energiebedarf für Bau und Betrieb verringert und somit die ökologische Wirkung des Gebäudes verbessert.
Auch die Bauweise hat großen Einfluss auf die Planung und die Ökobilanz eines Gebäudes. Eine Abwägung verschiedener Bauweisen sollte ebenfalls in den frühen Projektphasen durchgeführt werden, Änderungen im fortgeschrittenen Projektverlauf führen zu Wiederholungen von Planungsleistungen, Mehrkosten und Verzögerungen. Im Projekt „Erweiterung biologische Kybernetik“ wurden bereits in der Vorplanung verschiedene Bauweisen gegenübergestellt und die jeweiligen langfristigen Umweltwirkungen abgeschätzt.
Aufgrund unterschiedlicher Anforderungen an die verschiedenen Bereiche des Gebäudes war das Ergebnis die Kombination zweier Bauweisen: Holzhybridbau in den Bürobereichen und Stahlbeton-Massivbau in den Laborzonen. Die Konstruktion mit Stahlbeton-Flachdecken bietet maximale Flexibilität zur Installation und späteren Änderung der technischen Ausrüstung, was sich positiv auf die Nutzungsmöglichkeiten und die Nutzungsdauer der hochinstallierten Laborbereiche auswirkt. Im Bereich von Büroflächen mit geringerem Anteil an technischer Ausrüstung kann der Fokus hingegen auf einen optimierten Ressourceneinsatz gelegt werden.
Wie wird Nachhaltigkeit in der späteren Nutzungsphase sichergestellt?
Hotz:
Auch hier ist das Hinterfragen der Anforderungen von zentraler Bedeutung. Diverse Systeme wurden nicht auf den maximalen Bedarf, sondern auf einen effektiven und effizienten Betrieb ausgelegt. Beispielsweise wurden die Anforderungen an thermischen Komfort in reinen Verkehrsflächen gegenüber Aufenthaltsbereichen reduziert. Das spart Heizenergie im Winter, Kühlenergie im Sommer und letztlich Kosten im Betrieb, ohne wesentliche Einschränkungen der Nutzung zu verursachen.
Zusätzlich ist es wichtig, die Differenz zwischen der in der Planungsphase prognostizierten und der tatsächlich erreichten energetischen und betrieblichen Leistung eines Gebäudes zu berücksichtigen (Performance Gap). Intensive Abstimmungen zwischen Planung, Ausführung und Nutzung helfen, Abweichungen, fehlerhafte Annahmen im Nutzungsverhalten oder mangelnde Betriebsoptimierung zu identifizieren und optimiert in die nächste Projektphase zu starten.
Neben einer leistungsfähigen Gebäudehülle, effizienten Lüftungs-, Heiz- und Kühlsystemen und dem Einsatz erneuerbarer Energien liegt der Schlüssel also in der Einbindung der Erfahrungen der zukünftigen Verantwortlichen für den Gebäudebetrieb. Im Projekt „Erweiterung biologische Kybernetik“ wurden diese von Anfang an eng einbezogen und waren maßgeblich an der Auslegung der technischen Ausrüstung und Gebäudeautomation beteiligt. So konnten sie Wartung, Instandhaltung und spätere Anpassungen mitdenken und frühzeitig Impulse an das Projektteam geben.
Welche Bedeutung hat die Zusammenarbeit aller Projektbeteiligten?
Hotz:
Wir arbeiten eng mit der Bauherrschaft, dem Architekturbüro, Fachplanenden, Nachhaltigkeitsberatenden, Vertretungen des Gebäudebetriebs und insbesondere mit Nutzervertretungen zusammen. Regelmäßige Abstimmungen und ein gemeinsames Zielverständnis helfen, Zielkonflikte früh zu erkennen und tragfähige Lösungen zu entwickeln. Bereits in der Vorplanung wurden Workshops organisiert, um die vielfältigen Aspekte im gesamten Projektteam zu diskutieren und Potenziale für ressourcenschonendes Bauen und Betreiben des Gebäudes zu identifizieren. Die Ergebnisse der Workshops wurden anschließend fester Bestandteil der weiteren Planung.
Wie unterstützt Diederichs die Erreichung der Projektziele?
Hotz:
Unsere Aufgaben umfassen die Steuerung des gesamten Planungs- und Bauprozesses – von der Vorplanung bis zur Inbetriebnahme, die Koordination aller Beteiligten und das Monitoring der Projektziele. Durch digitale Tools und bewährte Methoden schaffen wir eine verlässliche Grundlage für nachhaltigen Erfolg im Sinne der Bauherrschaft, der Nutzenden und aller weiteren Stakeholder. Mit LEAN-Methoden sorgen wir für Transparenz, Effizienz und Qualität, indem wir Abläufe verschlanken, Schnittstellen frühzeitig identifizieren und Verschwendung von Zeit, Material und Ressourcen vermeiden. So stellen wir sicher, dass Nachhaltigkeit und Innovation nicht nur geplant, sondern auch umgesetzt werden.
Fazit
Das Max-Planck Projekt in Tübingen zeigt: Durch frühzeitige Betrachtung umfassender, ökologischer Aspekte und die Integration aller Projektbeteiligten können Mehrwerte für das Projekt und für die Umwelt erzielt werden. Entscheidend sind die Identifikation und konsequente Ausschöpfung von Nachhaltigkeits-Potenzialen.
Dieser Ansatz eignet sich besonders für Bauherrschaften mit hohen eigenen Nachhaltigkeitsstandards und der ausgeprägten Fähigkeit, Ziele und Wirkungen im Projektverlauf eigenständig zu überprüfen, also einem professionellen Monitoring der Zielerreichung. Die Projektsteuerung kann dabei einen entscheidenden Unterschied machen, weil sie dazu beiträgt, die nötigen Strukturen, Transparenz und Effizienz zu schaffen.




